
Das waren noch Zeiten – Die Sechziger
Erinnerungen von Peter Müller
Mehr als 50 Jahre sind vergangen, seit die Beat-Welle durch das Freigericht schwappte. Sicherlich glaubten viele, dass sich wenige Jahre später kaum noch jemand an diese Zeit erinnern würde.
Aber die Begeisterung, die Gefühle, die die Beatles, die Rolling Stones und auch die Bands der heimischen Region, aus Bernbach, Neuses, Somborn und den benachbarten Dörfern in den 1960-er Jahren geweckt haben, sind bis heute unvergessen geblieben.
Auch heute noch, da die Jugendlichen von damals schon das Rentenalter erreicht haben, werden bei Oldie-Konzerten Erinnerungen ausgetauscht und Oldie-Partys gefeiert, bei denen jung gebliebene Musiker mit Hits der Beatles-Ära für tolle Stimmung sorgen.
Dieser Artikel soll die heimischen Bands jener Zeit würdigen, denn die damaligen Musiker waren Pioniere. Fast alle Beatmusiker begannen mit Verstärkern, die aus Röhrenradios der Eltern gebastelt wurden, Schlagzeuge und Elektrogitarren waren oft mit Sägen und Schrauben selbst gebaut worden und Mangels Motorisierung fuhren manche Musiker mit der Trommel unterm Arm, der Gitarre auf dem Rücken und dem Verstärker und Schlagzeug auf dem Fahrradanhänger zur Probe oder sogar zum Auftritt. Aber all dies hat Fans und Bands zusammengeschweißt.
Ohne Idealismus und ganz besonderen Ehrgeiz ging daher nichts. Zwei- bis dreimal in der Woche schleppten wir unsere Verstärker, Lautsprecher und Gitarren in die zu Proberäumen modifizierten Kellerräume, Garagen und Kinderzimmer, um Beatsongs zu erlernen.
Ich habe mich bemüht, die heimischen Beatbands soweit wie möglich zu erfassen. Zu vielen alten Musikerkollegen und früheren Bandmitgliedern konnte ich Kontakt aufnehmen. In vielen Gesprächen, haben Musiker die Geschichte und die Geschichten ihrer Bands erzählt. Es wurde viel gelacht, auch wenn das eine oder andere Detail nach 50 Jahren nicht mehr genau geklärt und etwas modifiziert zum Besten gegeben wurde.
The five Lappins, the Troubadours, the Team-Beats, the Little Five, The Scotsman-Group, Tit for Tat und Guess Who sind die Namen der Bands in den „roaring Sixtees“, mit den ich mich beschäftigt habe und die alle aus den Ortschaften des Freigerichts kamen. Neben den Bands spielen auch die Auftrittslokalitäten, Beatschuppen und Tanzlokale vom Cafe Höfler in Altenmittlau, im Volksmund „Schuwiak“ genannt, bis zur „Sternbar“ in Burgsinn und zum „Big Valley“ in Radmühl und viele mehr eine nicht unerhebliche Rolle in meinen Recherchen, zumal sich viele unserer Fans in diesen Lokalitäten näher kennengelernt haben und zum Teil heute noch zusammen sind.
Viel Spaß beim Lesen und ein echtes „Sixties-Feeling“ wünsche ich den Lesern.
Das Cafe Höfler, besser bekannt unter dem Namen „Schuwiak“, war weit über das Freigericht hinaus bekannt. An Wochenenden war es ein beliebter Treffpunkt für alle Tanzwilligen aus der näheren und weiteren Umgebung, sowie ein „Meeting-Point“ für viele amerikanische GI`s aus den umliegenden Kasernen, denen die gute Stimmung und die Livemusik etwas Abwechslung vom Kasernenalltag bescherte.
Die „Wilden Sechziger“ dauerten meines Erachtens von 1963 bis 1968. Die europäische Popularmusik der 1950-er Jahre lebte faktisch bis 1963, während musikalisch die „60-er“ schon 1968 in die „70-iger“ übergingen.
Ein kleiner Rückblick: Bekanntlich war die Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den ich glücklicherweise nicht erleben musste, wüst und leer. Deutschland lag in Trümmern.
1960 waren diese Trümmer zwar größtenteils fortgeräumt, sodass man die Auswirkungen des Krieges nur noch an vereinzelten Ruinen und brach liegenden Grundstücken erkennen konnte. Die harte Aufbauarbeit, die große Not der Nachkriegszeit und die deutschen Tugenden ließen nur wenig Raum für jugendliche Ausgelassenheit und Lebensfreude.
Unsere Welt wurde von Erwachsenen geprägt, die das „Tausendjährige Reich“ entweder nur mit Mühe überlebt oder sich hindurchmanövriert hatten. Einige waren auch schon wieder an der Macht. Noch immer herrschte das Spießbürgertum und der Untertanengeist, der sich aus der Zeit der Hohenzollern über die Nazizeit in unsere damalige Gegenwart hinüber gerettet hatte. Wie früher beharrten diese Kräfte auf „Zucht und Ordnung“, was für uns bedeutete: Wir sollten auf der gleichen Welle reiten wie unsere „Alten“. „Das haben wir schon immer so gemacht“, hörte man in jeder Amtsstube, in Handwerksbetrieben und auch Zuhause. Diskussionen im Unterricht waren den Lehrern fremd, sie l e h r t e n. Wer renitent war, bekam was auf die Finger, ich kann mich sehr gut daran erinnern, oder durfte länger in der Schule bleiben. Wer es wagte, sich zu Hause darüber zu beschweren, musste damit rechnen, „noch was hinter die Löffel“ zu bekommen. Gerechtigkeit konnte er nicht erwarten. Der Pauker war der König, man hatte ihm zu gehorchen.
Unsere „Alten“ hätten es auch gerne gesehen, wenn wir ihre Vorurteile weiter pflegten. Zu den damals populären Vorurteilen gehörte, dass man, wenn man als „normal“ durchgehen wollte, weder „Comic-Hefte“ noch Groschenromane las, dass man die sogenannte „Negermusik“ verachtete, weil der „Ami“ keine Kultur hat. Auch verkehrte ein anständiges Mädchen nicht mit Jungs in schwarzen Lederjacken, die auch noch Moped fuhren.
Mit Verboten aller Art sollten der Jugend die kulturellen Interessen jener Kreise vorgekaut werden, die an der Macht waren: Blasmusik preußischer Art war bei offiziellen Anlässen noch immer der Hit. Ich denke gerade an den Ortsfunk in Somborn. Welche Musik aus dem Radio kam, bestimmten jene Rundfunkmacher, die ihre Lehre bei den Hohenzollern abgeschlossen hatten. Wer in den 1950-iger und frühen 1960-iger Jahren sein Schaub-Lorenz- oder Loewe-Opta-Radio einschaltete, konnte sicher sein, dass er außer gespenstischer Friedhofsmusik nicht viel anderes zu hören bekam. „Preußens Gloria“ war immer noch angesagt.
Popmusik? Kein Mensch hätte sich gewagt, das Wort „Pop“ auch nur auszusprechen! Hitparade? Gab es nicht!
Die U-Musik der ersten Nachkriegsjahre wurde von Leuten wie Bully Buhlan ( Wir tanzen wieder Polka ), Bruce Low ( Das alte Haus von Rocky Docky ), Margot Eskens ( Cindy oh Cindy ), Caterina Valente ( Ganz Paris träumt von der Liebe ), Vico Torriani, Rene Carol, Freddy Quinn, Lolita und Lale Anderson beherrscht, deren schmalzig-schrulliges Liedgut schon 1956 jedem die Tränen in die Augen trieben, der schon damals etwas von Ray Charles oder den Everly Brothers gehört hatte.
Da gab es zum Beispiel den ständig das „R“ rollenden Schluckauf-Sänger Peter Kraus, der sich für einen Rocker hielt:
„Ich kenne eine Bar, die ist toll,
da tanzt man Rock`n Roll…..
Die deutsche Version von Little Richards „Tutti Frutti „.
Mit dieser Art von Musik musste der deutsche Halbstarke noch 1962 Vorlieb nehmen, wenn er Musik hören wollte. Geld für Schallplatten hatte er nicht, und was sich daheim auf dem längst nicht überall vorhandenen Plattenteller drehte, bestimmte der Papa. Auf unserer Musiktruhe die Nummer Eins war das Lied „Das alte Försterhaus“ von Friedel Hensch und den Cyprys. Da wagte man sich nicht dran.
Den sich als kulturell wertvoll einstufenden Rundfunkmachern fiel es nicht ein, ihren Hörern „Heulbojen“ wie Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Fats Domino, Chuck Berry oder Little Richard zuzumuten, die außerdem noch mehrheitlich Neger waren. Diese Typen gut zu finden und zu ihrer Musik zu tanzen, brachte einem nur Ärger ein. Im Musikunterricht wurden sie nicht erwähnt, da wurde noch das alte deutsche Liedgut vorrangig behandelt und gesungen. Die deutsche Musikpresse fand sich schon modern, wenn sie ihren Lesern brave Buben wie Cliff Richard vorstellten oder Vico Torriani mit Elvis Presley verglichen.
Insbesondere unsere Väter neigten häufig dazu, ihre Familie zu behandeln wie ihren privaten totalitären Staat. Geprägt durch die vorangegangene hierarchische soziale und politische Ordnung, waren sie fixiert darauf, dass ihnen Gehorsam entgegengebracht wurde. Auf jede Herausforderung ihrer „Autorität“ reagierten sie aggressiv. „Halt deinen frechen Mund!“, „ Ich dulde nicht, dass….!“, „In meinem Hause nicht!“.
Die sicherlich meisten Teenager dieser Jahre waren freilich angepasst, brav und schwammen bereitwillig mit dem Strom. Nur wenige Außenseiter wagten es, sich den herrschenden Regeln zu widersetzen. Anders zu sein als die anderen war nichts, wonach man damals strebte. Widerworte zu geben, trauten sich die wenigsten. Eine kleine Minderheit ballte die Faust in der Tasche und fletschte im Geheimen die Zähne.
Viele Jugendliche konnten sich deshalb nur in Vereinen, kirchlichen Verbänden und in kommunalen Einrichtungen entfalten, jedoch unter ständiger Aufsicht. Dazu gehörten vornehmlich Aktivitäten in Sport-Turn-Fußball- und Gesangvereinen, katholischen und evangelischen Jugendverbänden, bei Zeltlagern und organisierten Ferienfreizeiten. Es galt als unfein, Traditionen abzuschwören, Eigensinn zu entwickeln und Widerworte zu geben. Anders sein als die anderen war nichts, wonach man strebte. Wie lange das so bleiben sollte, konnte man nur vage vermuten, denn irgendwann musste es ja zur Auflehnung, vielleicht sogar zur Rebellion kommen.

Ich verbrachte wie die meisten Jungen dieser Zeit mein Leben nicht vor der „Glotze“, die nur ein lumpiges Programm für Jugendliche ausstrahlte. Ich stecke meine Nase in Comic-Hefte wie Sigurd, der ritterliche Held, Akim und Tarzan, Herr des Dschungels. 1961 kostete der Groschenroman schon 6 Groschen und lieferte auf 64 bedruckten Seiten alle nur vorstellbaren irdischen und außerirdischen Abenteuer.
Dennoch war ich mehr musikalisch interessiert, lernte Flöte, Geige und Cello spielen und nahm etliche Stunden Akkordeonunterricht bei Emil Volpert, der damals schon oft als Entertainer alleine oder im Duo mit Schlagzeuger Fritz Reiche bei vielen Veranstaltungen sein Können unter Beweis stellte.

Dennoch reizte mich das Erlernen dieser Instrumente und die klassische Musik nicht so sehr, obwohl dadurch ein Fundament für neuere Instrumente gelegt wurde, die mich in Zukunft mehr interessieren sollten. Das Erlernen des Gitarrenspiels faszinierte mich mehr, zumal ich meinen Gesang jetzt selbst begleiten konnte.
In meiner Freizeit lauschte ich oft den fremdsprachigen Gesängen, die ein quietschender und pfeifender Sender Namens „Radio Luxemburg“ täglich durch den Äther jagte. Stundenlang saß ich vor dem Radio, um die Bedeutung von Texten zu erfassen, die ich nicht recht verstand. Außerdem versuchte ich, Songs, die mir besonders gefielen, auf der Gitarre mitzuspielen. Ein schwieriges Unterfangen, denn Noten und Texte von den Liedern gab es noch nicht.
Leichter waren da schon jene Musiker zu verstehen und nachzuahmen, die sich nur instrumental artikulierten. Da gab es zum Beispiel den dänischen Gitarristen Jörgen Ingmann, der einen instrumentalen Ohrwurm Namens „Apache“ eingespielt hatte. Dieser Titel gefiel mir sehr gut und ich wünschte mir die Platte zu Weihnachten. Meine Enttäuschung war groß, als ich erkannte, dass die begehrte Scheibe nicht von Jörgen Ingmann, sondern von einer englischen Band war, die sich „Shadows“ nannte. Erfreulich war, dass die „Shadows“ einen hundert Mal besseren Sound hatten als Ingmann und dass die Rückseite der Platte auch ein äußerst interessanter Instrumentaltitel war. Das gefiel mir und ich begann mit Recherchen nach mehr Platten und Titeln von dieser englischen Band.
Mein Freund und Nachbar Theo Franz half mir weiter. Er war schon im Besitz eines Spulentonbandes, sodass er vom Radio Aufnahmen machen konnte. Und das machte er mit Akribie. Er nahm mir viele Instrumentaltitel von Bands auf, die so eigenartige Namen wie „Spotnicks“ und „Ventures“ hatten. Diese vorwiegend instrumental spielenden Musiker wurden für meine Freunde und mich das A und O in unserer Freizeit. Wir versuchten diese Instrumentaltitel wie „Zwei Gitarren am Meer“, „Midnight“ und „FBI“ immer wieder nachzuspielen, um eine bessere Fingerfertigkeit auf der Gitarre zu bekommen. Unser Gitarrenlehrer war der Schneidermeister Ottmar Weigand aus der Buchbergstraße in Somborn. Nach getaner Arbeit durften wir seine Schneiderei zum Proberaum umfunktionieren. Dort verbrachten wir viele Stunden.
Ein Bild aus der zum Proberaum
umgestalteten Schneiderei

Am Schlagzeug Wolfgang Demel
Rechts vorne an der Gitarre Ottmar Weigand
Nur wenige Jugendliche hatten zu dieser Zeit Zugang zu den heißen Scheiben aus den USA. Der Sender AFN war die einzige Möglichkeit, sich heimlich über die neusten Hits aus den USA und England zu informieren. Die deutsche Presse ignorierte diese neue Musik, oder bespöttelte ihre Interpreten.
Kurz darauf, als es dann musikalisch so laut krachte, dass man es nicht mehr ignorieren konnte, glaubten unsere „Alten“, dass der Untergang des Abendlandes bevorstehe.